Montag, 5. August 2013

Einfach mal Luft holen, oder: Die böse Rezension

Früher gab es in den Tageszeitungen, gerade gen Wochenende, im Feuilleton Bücherbesprechungen - Glückswiese und Tal der Tränen zugleich für Autoren, die ihre Werke dort besprochen sahen. Doch im Zuge der digitalen Revolution liegt die Besprechungs-Macht nicht mehr alleine bei Journalisten und wohlmeinendem oder verreissendem Fachpublikum.
Heute geben uns die großen Online-Händler die Macht über Wohl und Wehe eines Produkts (dazu zähle ich frecherweise auch Bücher) mittels der Kommentarfunktion in die Hand. Ganz zu schweigen von den vielen begeisterten Buch-Bloggern, die mittels Rezensionsexemplaren inzwischen ohne private Kostenexplosion an begehrten Lesestoff kommen und sich mit einer Buchbesprechung revanchieren.

Heutzutage muss man sich also als Autor mit einer viel größeren Menge an Feedback-Möglichkeiten zum eigenen Werk befassen, die oftmals nicht dem entsprechen, was man sich erwartet hat. Die gefürchtete 1-Sterne-Rezension bei Amazon ist wohl das gewaltigste Damoklesschwert, welches gerade Jungautoren über ihrem Erstling bedrohlich schweben sehen. Hat man sie dann kassiert, gibt es immer wieder Frustmomente. 
Ja, es tut weh, wenn jemand etwas schlechtes oder als gemein empfundenes über das Baby schreibt, das man mit vielen Stunden mühevoller Tipperei geistig in diese Welt gebracht hat. Kritik mag im ersten Moment wirklich niemand.
Ist sie dann noch ein Einzeiler im Tenor "Das Buch XY ist Mist, ich finde, man sollte sowas nicht lesen!" sitzt man als der Kreativschaffende ganz sicher erstmal mit sehr gemischten Gefühlen vor dem Screen. Aber - eine miese Rezension ist kein Weltuntergang. Man kann lernen, mit der Meinungsäußerung unbekannter Menschen klarzukommen und etwas für sich und die eigene Arbeit mitzunehmen.

Ich musste meine Erfahrungen im Umgang mit Kritiken auf die harte Tour lernen - als ich mich mit meinen damals wirklich noch nicht besonders tollen Zeichnungen an das Licht der Öffentlichkeit, sprich, einer großen, internationalen Online-Gallery namens deviantart.com wagte. Bis zu diesem Moment schwebte ich in einer watteweichen Wolke wohlwollender Meinungen meines näheren Umfelds, aber aus diesem Himmel stürzte ich sehr schnell in der Realität zu Boden. Neben den allseits bekannten 'finde ich nicht toll' Meinungen, die mir leider nicht genau sagen wollten, warum ihnen das jeweilige Bild nicht gefiel, gab es auch dediziertere Kritiken. Perspektivefehler wurden bemängelt, die Proportionen waren nicht stimmig, und, und und. Nach einer ganzen Weile blickte ich in meine Gallery und wollte erst einmal gar nichts mehr veröffentlichen. Nie wieder. Alle fanden schließlich meine Sachen schlecht.
Die Kritiken begannen mich zu verfolgen. Selbst vor dem Einschlafen dachte ich darüber nach, warum Mary aus Minnesota meine Bilder so schlecht fand. Oder warum Sören aus Schweden die gezeichneten Personen auf meinen Bildern für so unproportional hielt. Mein damals geliebtes Nur-Hobby zeichnen wurde mir durch diese Meinungen vollkommen vergällt, der Stift blieb eine ganze Zeitlang liegen.

Bis der Lernprozess einsetzte. Ich schaute mir an, von wem welche Kritik gekommen war. Stellte fest, dass Sören aus Schweden selbst zeichnete und seine Zeichnungen von Personen tatsächlich richtige Proportionen besaßen. Dass Mary aus Minnesota in ihrem Profil vor allem Manga-Bilder favorisiert hatte ('Favorites' sind bei DeviantArt das Äquivalent zum Facebook-Like) und deswegen mit meinem europäischen Stil wahrscheinlich grundsätzlich nicht übereinstimmte.
Ich war einen Schritt zurückgetreten, hatte die persönliche Ebene mehr und mehr verlassen und betrachtete die Kritiken sachlicher. Und ich lernte, auf bestimmte Dinge beim zeichnen mehr zu achten. Legte mir Bücher zu, die mir richtige Komposition erklärten - und verbesserte mich. 

Bei Schreibwerk ist es im Grunde nicht viel anders - nur dass man bei einem so offenen Anbieter wie Amazon und Konsorten in der Regel weniger Autoren findet, sondern vor allem Endkunden. Die Leute, mit denen wir Autoren am Ende Geld verdienen wollen. Ihre Ansichten können und sollten wir also nicht ignorieren. Aber man kann sie filtern, um nicht persönlich betroffen zu werden.

Hier meine Tips im Umgang mit Kritiken/Rezensionen im Netz:
  • Persönliche Beleidigungen ausblenden: Wer lesen muss, wie blöd er/sie ist und überhaupt nicht zum Autor taugt, reagiert automatisch. Hier einen Schnellschuss zurückzugeben, ist so ziemlich das Schlechteste, was man machen kann, denn es zeigt dem Kommentierenden, dass man verletzt wurde.
    Ist es eine derbe Beleidigung, sollte man den Kommentar beim jeweiligen Portal melden, damit er entfernt wird. Ansonsten ist es für den eigenen Seelenfrieden defintiv gesünder, das Ganze verblassen zu lassen - denn jemandes Ansichten, der gleich auf die persönliche Ebene geht, kann man in den meisten Fällen auch nicht durch eine Diskussion ändern.
  • Eine Nacht darüber schlafen: Auch wenn man das unbedingte Wollen in sich fühlt, auf eine der eigenen Ansicht nach ungerechtfertigte Kritik sofort zu antworten, tut es bitte nicht. Solange noch das Adrenalin durch die Adern pulst, kommt selten eine gute Reaktion dabei heraus. Ein wenig Abstand mildert das eigene Empfinden, man kann vielleicht schon mögliche Antworten im Geiste durchspielen und tritt hinter die eigene Person etwas zurück. Dem Drang zur Reaktion zu widerstehen ist schwer gelernt, hilft aber ungemein weiter.
    Wenn das Ganze trotzdem innerlich ziept und brennt: Sich einen guten Freund oder eine gute Freundin suchen und auskotzen. Dann ist der gröbste Druck schon weggenommen, man hat sich Luft gemacht - und am anderen Tag sieht es schon anders aus.
  • Genauer Blick auf den Inhalt der Rezension: Klar kann man aus einer Einzeilen-"Rezension" der Marke "Dieses Buch ist Mist!" nicht viel herausholen. Diese Art von Kommentar kommt bei mir in die Rundablage P, sprich: Ich schiebe sie geistig vom Tisch und beachte sie nicht weiter.
    Muss ich allerdings in ausführlicheren Kommentaren mehrfach dieselben bemängelten Dinge wie zB. Rechtschreibung, unlogisches Verhalten des Hauptcharakters oder ähnliches lesen, wäre ein Nachdenken darüber nicht verkehrt. Gerade nicht eingehaltene Formalia wie korrekte Rechtschreibung und Zeichensetzung sind für Vielleser störend und werden gerne angemerkt.
    Blogger-.Rezensionen sind meist noch ausführlicher, wurde man von einem Genre-Blogger rezensiert, hat man vielleicht sogar das Glück, Vergleiche zu anderen Autoren zu erhalten - was diese besser gemacht haben. Bei einer freundlichen Nachfrage an den Blogger (bitte nicht drängen oder beschimpfen!) sind diese oftmals auch bereit, dem Jungautor genauer zu erklären, woran es ihrer Ansicht nach hakte. Vielleicht gewinnt man so auch einen Beta-Leser oder Fan für ein neues Projekt?
  • Wahrscheinlichkeiten im Hinterkopf behalten: Meiner eigenen Erfahrung nach sind sehr, sehr viele Menschen, denen etwas gefällt, stille Konsumenten. Sie mögen ein Buch? Dann wird es gelesen, in den Schrank gepackt und vielleicht auch an Freunde weiterempfohlen. Aber die wenigsten schreiben danach eine positive Rezension oder einen Kommentar. Da fallen dann diejenigen, die eine negative Rezension verfassen, umso mehr auf.
    Ein Beispiel: Nika Lubitschs Krimi "Der 7.Tag" hat sich als eBook über 100 000 Mal verkauft - mit insgesamt etwa 1100 Rezensionen bei Amazon. Das sind gerade mal 1% der Leser! Und hier handelt es sich um einen Bestseller, der wochenlang die Kindle-Charts bei Amazon angeführt hat (mit einem Anteil von knapp 600 5-Sterne-Rezensionen).
    Die 'miesen' 1-Sterne-Rezensionen kommen - irgendwann. Mal früher, mal später. Wenn man sich bewusst macht, dass jeder Autor diesen Moment erlebt, nimmt das dem Ganzen auch die Schärfe. Ein mündig gewordenes Publikum nutzt die Chance des Meinung-Sagens glücklicherweise! Denn ohne diesen Umstand gäbe es auch die 'guten' Rezensionen nicht ...
  • Rezensionen sind nicht alles: Die Kritik hat "Shades of Grey" zerrissen. Viele Buchblogger haben sich über den lahmen Plot, die noch lahmeren dramatis personae und die vielen inneren Göttinen erregt. Verkauft wurde die Trilogie dennoch, und das bombastisch. Es traf einen Nerv der Leserschaft, hier vor allem Frauen, und ging wie warme Semmeln über den Ladentisch. Ist es nicht das, was auch entscheidet?
    Wieviel am Ende beim Autor in finanzieller Form ankommt? Wieviel Freude einem das Schreiben macht, wieviel man für sich daraus ziehen kann, in eine nur von der eigenen Phantasie beschränkte Welt abzutauchen und in dieser Geschichten zu erzählen? Man wird es niemals allen Recht machen können - doch wenn man damit erreicht, was man möchte, hat man doch trotz vermeintlich schlechter Kritik sein Ziel erreicht. Dieses darf man nicht aus den Augen verlieren!
Mich haben meine Kritiker zu einem besseren Zeichner, und auch zu einem besseren Schreiber gemacht. Sie haben mich gelehrt, so einiges nicht mehr an mich herankommen zu lassen und auch Dinge anzunehmen, die, wenn sie ausgesprochen oder ausgeschrieben werden, mir erstmal nicht gefallen. Und daraus zu lernen, ohne mich verbiegen zu müssen!
Lasst euch nicht beirren in eurem Weg, das zu tun, woran euer Herz hängt :)